Die Physik des Einrades

Hallo ihr Lieben,

Seit ich das einradfahren angefangen habe, mache ich mir viele Gedanken über die Physik des Rades.
Aus der Schule kennen ich noch das Experiment mit dem sich drehenden Rades, welches auf einer Achse aufliegt und dennoch stabil bleibt, solange es sich dreht. Die Kräfte, die dabei zugange sind spürt man beim verändern der Richtung des Rades.

Nun meine Frage: Wie verhält sich das sichere Fahrverhalten des Einrades in Bezug zur Reifengrösse und zur Geschwindigkeit oder ist das nur abhängig von der Winkelgeschwindigkeit?

Habe schon im weltweiten Web geschaut. Finde nicht wirklich was darüber. Die Idee, den Fahrradhändler zu fragen, hat mir nur Kopfschütteln gebracht.

Ich weiss, mit dem Einrad kann man auch stehen ohne umzufallen :slight_smile: Aber ich bin eine Grüblerin und es interessiert mich wirklich!

Winkelgeschwindigkeit und Massenträgheitsmoment sind die entscheidenden Faktoren. Letzeres wächst mit der rotierenden Masse sowie dem Abstand der Masse von der Drehachse. Sprich: es läuft umso stabiler, je: schneller es dreht, größer das Rad ist, schwerer das Rad ist. 200g mehr am Reifen bringen also mehr Laufruhe als 200g mehr an der Nabe. Dafür gehen dann aber Wendigkeit und Beschleunigungsvermögen verloren.

Hallo Eric,

Danke für deine Antwort!

Wenn ich es dann richtig verstanden habe, muss meine kleine Tochter mit ihrem 16er Rad schneller fahren, weil sie leichter ist als ich. Wäre sie sie so schwer wie ich, könnte die langsamer fahren?

Umgekehrt, wenn ich als Mami nicht mehr so schnell fahren will, brauche ich dann ein größeres Rad (24 statt 20) um sicher zu fahren? Und dicke Reifen?

Eine echte Formel dazu gibt es nicht, oder?

Hallo,
ich glaube bei deinen Überlegungen ist ein kleiner Fehler drinnen. Ein Einrad läuft sicher mit höheren Geschwindigkeiten ruhiger.

Wenn du langsamer fahren willst, würde ich eher sagen, dass du ein kleineres Einrad brauchst. Ich habe noch nie jemanden mit einem 36" Rad langsam fahren sehen. Sondern eher alle mit 20". Das liegt dran, dass man dann bei einer Radumdrehung ja deutlich weniger Strecke macht als mit einem 24" Rad. Ich würde auch eher zu einem schmaleren Reifen tendieren. Da hat der Reifen weniger Reibung und man kann ihn leichter hin und her drehen um das langsamere Fahren auszugleichen.

Der Massenvorteil kommt wohl eher dann beim schnellen Fahren zum tragen, da es leichter über Hindernisse rollt und nicht so stark gebremst wird.

Und zum Gewicht des Fahrer: Ich denke da ist ein leichter Fahrer beim Langsamfahren eher im Vorteil. Diese Masse hat nichts mit dem Einrad zu tun. Nur da der Schwerpunkt des Fahrers über dem Einrad ist und immer zentral über dem Einrad liegen muss, ist vermutlich ein leichtere Person im Vorteil. Sie braucht nicht so viel Kraft diese Masse immer auszugleichen und über dem Einrad zu halten.

Mit dem Gewicht des Fahrers hat das nichts zu tun, es geht um die rotierende Masse. Auch geht es nicht um die Fahrgeschwindigkeit, sonder um die Winkelgeschwindigkeit.

Sicher läuft ein 2kg Laufrad bei 10km/h stabiler wenn es ein 20" ist als wenn es ein 36" ist, da das 20" bei dieser Geschwindigkeit natürlich viel schneller dreht, also die größere Winkelgeschwindigkeit hat.

Das Phänomen heißt übrigens: gyroskopischer Effekt

Auf meiner Homepage (unicycling.de) unter Einrad -> Info gibts ein paar Artikel, die sich mit der Physik des Einrads bzw. des Einradfahrens beschäftigen. Es geht nicht exakt um die von dir angesprochenen Fragen. Aber vielleicht interessiert es dich trotzdem.

Also ich glaub dass die oben beschriebenen Effekte beim Einrad auch da sind, aber eher untergeordnet.
Es geht IMHO eher um die Balance und “Fahr immer dorthin wohin du zu fallen drohst” als um die Geschwindigkeit.

Hallo,
Es hat einige Zeit gedauert, alles auf deiner Seite zu sichten! Es sind ein paar sehr interessante Artikel dabei :slight_smile:

+1

Bei Fahrrädern ist der gyroskopische Effekt jedenfalls nachrangig, da man sich in zu niedrigen Geschwindigkeiten bewegt. Für das genannte Experiment muss man ein Rad auf ziemlich hohe Geschwindigkeiten bringen, und dass ist nur für das Rad selbst, ohne dass man da ein vielfaches von dem Gewicht des Rades an einem langen Hebel dazupackt.

Stell dir Einradfahren so vor, wie wenn du einen Stift (senkrecht) auf der Fingerspitze balancierst. Dabei bewegt man die Hand so dass der Kontaktpunkt des Stiftes (im Idealfall) unter dem Schwerpunkt des Stiftes liegt. Da man nicht perfekt ist, über-/unterkorrigiert man ständig, der Stift ist also permanent am kippen, aber immer in verschiedene Richtungen.

Auf größeren Rädern ist man stabiler, weil man im Allgemeinen schneller Unterwegs ist. Den Kontaktpunkt kann man im Vergleich zu langsameren Geschwindigkeiten mit einer kleineren Winkeländerung des Rades nach rechts oder links bewegen.

Lediglich beim vorne/hinten korrigieren ist das Massenträgheitsmoment für “Stabilität” verantwortlich. Der Einradfahrer korrigiert durch Bremsen oder Beschleunigen das Rad wieder an den richtigen Kontaktpunkt. Bei einem Rad mit sehr hohen Trägheitsmoment, braucht man mehr Kraft um das Rad zu Bremsen und zu Beschleunigen. Insgesamt bremst man dann ein schweres Rad weniger als ein leichtes, um die gleiche Korrektur auszuführen. Man ändert also die eigene Geschwindigkeit weniger stark.

Es stimmt wohl dass eine leichte Person weniger Kraft braucht um auszugleichen. Es scheitert aber sehr selten an der Maximalkraft beim ausgleichen, sondern bei der Dosierung davon. Um genau zu dosieren ist weniger Kraft nicht immer im Vorteil. Ich wage z.B. zu behaupten, dass Beerpong mit einem Golfball leichter wäre als mit Tischtennis Bällen.

Das mag für Stillstand gelten. Tatsächlich entspricht Einradfahren aber eher dem Vorwärtsbewegen mit einem auf dem Finger balancierten Stift. Dabei ist der Kontaktpunkt genau dann unter dem Schwerpunkt wenn man sich mit konstanter Geschwindigkeit vorwärts bewegt. Zum einen ist das beim Einradfahren aufgrund der ständigen Ausgleichsbewegungen praktisch nie der Fall. Zum anderen kann man aus physikalischen Gründen aus der Beschleunigung heraus (mit Schwerpunkt vor dem Kontaktpunkt) höchstens über einen unendlich lange dauernden Grenzwertprozeß in einen stabilen Zustand konstanter Geschwindigkeit mit Kontaktpunkt unter dem Schwerpunkt kommen. In der Praxis dürfte das somit unmöglich sein.

Meiner Meinung nach ist übrigens genau dieser Übergang von Beschleunigung zu konstanter Geschwindigkeit eine der größten Herausforderungen für Leute, die Einradfahren lernen. Solange man sich nämlich an der Wand entlang hangelt oder sich Händchen halten läßt, spart man sich diesen Übergang. Bei den ersten Versuchen frei zu fahren, kommt praktisch jeder genau so weit, bis er nicht mehr weiter beschleunigen kann. Wenn man dagegen jemandem Starthilfe gibt und die Hand losläßt sobald er mit konstanter Geschwindigkeit fährt, wird er häufig relativ lange frei weiterfahren.

Natürlich. Als in der Physik bewanderter Mensch ist dir aber ja bekannt dass dies bei konstanter Geschwindigkeit nur eine Frage des Bezugssystems ist. Für den Zweck dieser Diskussion wollte ich nicht den Vergleich unnötig verkomplizieren, sondern Charlys “fahr immer dorthin wo du fallen zu drohst” mit einem Beispiel von dem jeder diesen Mechanismus kennt noch unterlegen.

Ich weiß nicht wie du Stillstand auf dem Einrad machst, aber soweit ich weiß wird beim Stillstand gerade der Kontaktpunkt nicht verschoben, da man wie der Name suggeriert auf der Stelle steht.

Ich dachte eigentlich dass jedem der schon einmal einen Stift auf dem Finger balanciert hat aufgefallen ist, dass das praktisch nie der Fall ist. Das war genau warum ich das als Vergleich gewählt habe. (Passender Vergleich für einen stabilen Zustand konstanter Geschwindigkeit mit Kontaktpunkt unter dem Schwerpunkt wäre ein Stift den man in einem Zug auf den Tisch stellt.)

Dass dies tatsächlich auch im mathematischen Modell praktisch unmöglich ist ist spannend, ich dachte dass läge hauptsächlich daran dass man eben nicht perfekt ausgleicht.

Ist definitiv auch in meiner Erfahrung als Trainer eine der größeren Schwierigkeiten für Anfänger. Gut zu beobachten bei Kindern, die haben weniger Angst und werden noch schneller als Erwachsene bevor sie nach vorne absteigen.